28.01.2022 von Leon De Gottardi
«The World’s largest facial network» ist der Slogan von Clearview AI. Das Startup betreibt eine Gesichtserkennungssoftware, mit welcher praktisch jeder Mensch, der im Internet aktiv ist, identifiziert werden kann. Diese Software stösst unter Datenschützern auf heftige Kritik. Es ist sogar vom Ende der Anonymität im öffentlichen Raum die Rede.
Clearview AI (nachfolgend “Clearview”) ist ein Startup-Unternehmen aus den USA. Das Produkt von Clearview ist eine Gesichtserkennungssoftware. Kernstück dieser Software ist eine Datenbank, die über zehn Milliarden Bilder enthält, die allesamt aus dem Internet stammen. Diese Bilder speist Clearview anhand von Web-Crawlern in seine Datenbank. Vereinfacht gesagt sind Web-Crawler Programme, die sich durch das Internet «wühlen», um nach bestimmten Daten suchen und diese sammeln (auch «scraping» genannt). Dieser Vorgang wiederholt sich in regelmässigen Abständen, um die Datenbank aktuell zu halten.
Im Fall von Clearview suchen die Web-Crawler das Internet nach Bildern von Personen ab. Dabei werden insbesondere Nachrichtenportale, Social-Media Accounts und Polizeifoto-Webseiten durchsucht.
Hoan Ton-That, der CEO von Clearview, sagt in einem Interview dazu:
“We have billions and billions of images from millions of different websites all across the open internet.”
(Quelle: https://youtu.be/-JkBM8n8ixI?t=55)
Clearview verwendet seine Datenbank, um eine Gesichtserkennungssoftware zu betreiben. Diese Software verkauft Clearview aktuell nur noch an Strafverfolgungsbehörden. Das war nicht immer so. Dank einem Datenleak vom Februar 2020 wissen wir, dass früher neben Behörden auch zahlreiche private Organisationen und Unternehmen zu den Kunden von Clearview gehörten. Unter anderem auch in der Schweiz. In der Schweiz haben laut dem Leak die St. Galler Kantonspolizei und die Zürcher Stadtpolizei Clearviews Software verwendet. Gegenüber BuzzFeed haben sie folgende Stellungnahmen abgegeben:
Florian Schneider, ein Polizeisprecher der KaPo St. Gallen:
“The St. Gallen Cantonal Police conducted a project to evaluate facial recognition software. Several providers were tested. Clearview AI was not among the officially tested products. We have over 1000 employees and I cannot give information about individual actions. The St. Gallen Cantonal Police as an institution has neither tested nor used Clearview AI.”
Mathias Ninck, Leiter Kommunikation der StaPo Zürich:
“I have checked with the financial department of the Zurich City Police and the digital forensics. In the last three years we never had purchased any Clearview software or paid for the use of it. The digital forensics department of the City Police has no knowledge of any employees using or having used Clearview AI. However we cannot rule out the possibility that someone register[ed] with their Zurich City Authority email address and use[d] the tool privately.”
(Quelle: https://www.buzzfeednews.com/article/ryanmac/clearview-ai-international-search-table)
Mehr Informationen zum Datenleak findest Du hier. Mittlerweile beteuert Clearview, dass sie die Software nur noch an Strafverfolgungsbehörden verkaufen.
Einen Einblick, wie wirksam die Gesichtserkennungssoftware von Clearview funktioniert, bekommst Du hier.
Zur rechtlichen Beurteilung der Methoden von Clearview gibt es weder eine gefestigte Praxis noch eindeutige Rechtsetzung. Es handelt sich um einen Bereich mit juristischem Spielraum. Es lohnt sich trotzdem, zumindest einen Blick auf die bisher entschiedenen Einzelfälle zu werfen.
Ende November hat die unabhängige Datenschutzbehörde des Vereinigten Königreichs eine Busse von 17 Millionen Pfund (CHF 20.1 Mio) gegen Clearview AI ausgesprochen. Dies mit der Begründung, dass Clearview es versäumt habe, die britischen Bürger über ihre Methoden und das Ausmass seiner Datensammlung zu informieren. Die britische Informationsbeauftragte Elizabeth Denham sagte dazu:
«I have significant concerns, that personal data was processed in a way nobody in the U.K. will have expected”
(Quelle: https://www.nytimes.com/2021/11/29/technology/clearview-ai-uk-privacy-fine.html)
Clearview wies die Vorwürfe daraufhin von sich und erklärte eine Berufung gegen die Busse zu erwägen. Kelly Hagedorn, ein Anwalt von Clearview, sagte dazu:
«[Clearview only] provides publicly available information from the internet to law enforcement agencies»
(Quelle: https://www.nytimes.com/2021/11/29/technology/clearview-ai-uk-privacy-fine.html)
Es ist Folgendes festzuhalten: Die Gegner von Clearview argumentieren, dass die Menschen nicht ausreichend über die Methoden und Ausmasse der Datensammlung von Clearview informiert wurden. Zudem bringen sie vor, dass ein Bürger kaum mit einer solch massiven Datenverarbeitung rechnen konnte, als er die Bilder ins Internet hochgeladen hatte. Sie sehen die Information der Betroffenen als notwendige Voraussetzung für die Rechtmässigkeit der Tätigkeit von Clearview. Clearview entgegnet, dass sie nur Informationen gesammelt haben, die bereits öffentlich zugänglich waren. Zudem versichert Clearview, dass sie die Daten im Sinne der Bürger verwendet hätten, indem sie durch die Gesichtserkennungssoftware dazu beigetragen haben, die öffentliche Sicherheit und die Strafverfolgung zu verbessern.
Dies sind beides Standpunkte, die vertretbar sind. Wer Recht hat, hängt mitunter von folgender Frage ab: Gebe ich beim Hochladen eines Bildes ins öffentliche Internet mein Einverständnis, dass es auch für ausserordentliche Zwecke, wie den von Clearview verwendet werden kann?
Diese Frage wurde dem Clearview CEO Hoan Ton-That in einem Interview gestellt. Er antwortete nur ausweichend. Den Ausschnitt findest Du hier.
Neben dem Vereinigten Königreich haben auch andere Länder Massnahmen gegen Clearview ergriffen. In Schweden hat die Polizeiaufsichtsbehörde eine Busse gegen eine Dienststelle verhängt, die Clearviews Gesichtserkennungssoftware benutzt hat und Kanada hat seinen Sicherheitsbehörden verboten, Clearview zu verwenden.
Clearview verkauft seine Gesichterkennungssoftware nur noch an Strafverfolgungsbehörden. Daher ist ihre Software nicht mehr öffentlich zugänglich. Es gibt aber ähnliche Unternehmen, die ebenfalls Gesichtserkennungssoftware auf Basis von öffentlich gesammelten Bildern anbieten. Die bekannteste Alternative zu Clearview ist PimEyes. Ein Unternehmen aus Polen, das sich unterdessen auf die Seychellen abgesetzt hat.
PimEyes funktioniert grundsätzlich genau gleich wie Clearviews Software. Die Datenbank von PimEyes verfügt jedoch «nur» über 900 Millionen Bilder. Das erscheint im Vergleich zu Clearviews 10 Milliarden wenig, ist aber dennoch sehr viel. Der wesentlichere Unterschied zu Clearview ist, dass die Software von PimEyes frei zugänglich ist. Für rund 30 US-Dollar erhält man einen Monat lang Zugang zur Datenbank von PimEyes und kann täglich 25 Suchanfragen durchführen.
Ich habe PimEyes eine Woche lang bei zahlreichen Freunden & Bekannten ausprobiert. Anhand von PimEyes lassen sich (fast) alle Webseiten finden, auf denen die gesuchte Person abgebildet ist. Besonders bedenklich ist, dass man anhand eines Fotos die gesuchte Person regelmässig namentlich identifizieren kann. Jede Person, die auf einer Webseite mit Name und Bild erscheint, kann binnen weniger Sekunden anhand eines Fotos identifiziert werden. Zudem können oft die Hobbys und der Arbeitsplatz der Person herausgefunden werden. Das ist eine besonders einfache Methode, den Namen und den Aufenthaltsort einer Person herauszufinden - und das alles nur anhand eines Fotos.
Clearview muss stärker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden. Es ist wichtig, dass alle Betroffenen über die Tätigkeit von Clearview aufgeklärt werden. Nur so können sich die Menschen vor Unternehmen wie Clearview oder PimEyes schützen. Es bleibt zu hoffen, dass solche Softwares in Zukunft zunehmend auf regulatorischen Gegenwind stossen werden, damit sie zweckmässig eingesetzt werden können, ohne dass die Privatsphäre der Betroffenen zu stark eingeschränkt wird.
Datenschutz.law hält dich zu weiteren Entwicklungen zu Clearview AI auf dem Laufenden.
Christian Mitscherlich, MLaw, Rechtsanwalt, Partner