Am 12. Juli 2024 wurde die lang erwartete Verordnung der Europäischen Union zur Regulierung künstlicher Intelligenz (KI) im Amtsblatt der EU veröffentlichet. Dieses Gesetz, auch als «AI Act» bekannt, ist das erste umfassende KI-Gesetz weltweit und wird nicht nur für die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch für Drittländer wie die Schweiz, Folgen haben.
Der AI Act zielt darauf ab, die Entwicklung und Nutzung von KI-Systemen in der EU zu regulieren, indem er KI-Anwendungen nach ihrem Risikograd kategorisiert und entsprechende Regeln festlegt. Das Gesetz soll die Grundrechte der EU-Bürger schützen, aber gleichzeitig Innovationen im KI-Bereich fördern.
Kernelemente des AI Acts
Der risikobasierte Ansatz des AI Acts bedeutet, dass je höher das Risiko ist, das ein KI-System für die Gesellschaft darstellt, desto strenger sollten die anwendbaren Regeln sein.
Bestimmte KI-Anwendungen, wie Social Scoring (ein System, bei dem das soziale Verhalten von Personen bewertet und mit Punkten versehen wird) oder die Ausnutzung von Verwundbarkeiten (KI, die darauf abzielen, die Schwächen oder Verletzlichkeiten bestimmter Personen oder Gruppen auszunutzen), werden mit dem AI Act komplett verboten. Für Hochrisiko-KI-Systeme gelten besondere Transparenzanforderungen, einschliesslich der Registrierung in einer EU-Datenbank. Bei Verstössen drohen hohe Geldbussen von bis zu 35 Millionen Euro oder 7% des Jahresumsatzes.
Gleichzeitig sieht das Gesetz Massnahmen zur Unterstützung von Innovationen vor, wie die Möglichkeit, KI-Systeme unter realen Bedingungen zu erproben, um die Balance zwischen Regulierung und technologischem Fortschritt zu gewährleisten.
Zeitplan für die Umsetzung
Die Umsetzung des AI Acts erfolgt schrittweise. Am 2. Februar 2025 treten die allgemeinen Bestimmungen und Verbote bestimmter KI-Anwendungen in Kraft. Die vollständige Anwendbarkeit der meisten Bestimmungen ist für den 2. August 2026 vorgesehen, mit einer finalen Einstufung von KI-Sicherheitsprodukten als Hochrisiko-Systeme am 2. August 2027. Diese gestaffelte Einführung gibt Unternehmen und Institutionen Zeit, sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten.
Auswirkungen auf die Schweiz
Obwohl die Schweiz kein EU-Mitglied ist, wird der AI Act erhebliche Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen und Institutionen haben. Das Marktorprinzip bedeutet, dass für alle KI-Systeme, die in der EU zum Einsatz kommen, die gleichen Regeln gelten - unabhängig von der Herkunft des Anbieters. Das heisst, dass auch Schweizer Unternehmen, die KI-Systeme in der EU anbieten oder deren KI-Ausgaben zur Verwendung in der EU bestimmt sind, die Vorgaben des AI Acts einhalten müssen.
Bald eine schweizerische Konformitätsbewertungsstelle?
Eine Konformitätsbewertungsstelle ist eine neutrale, unabhängige und kompetente Einrichtung, die für die Bewertung und Überprüfung der Konformität von Produkten oder Systemen mit bestimmten Vorschriften und Standards zuständig ist.
Die Europäische Union hat im Rahmen des AI Acts keine zentrale Konformitätsprüfungsstelle eingerichtet, sondern sieht ein System von unabhängigen Konformitätsbewertungsstellen vor. Diese Stellen spielen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung und Durchsetzung des AI Acts. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Konformität von Hochrisiko-KI-Systemen mit den Anforderungen des AI Acts zu überprüfen und zu zertifizieren. Sie führen technische Prüfungen durch, bewerten Dokumentationen und stellen bei Erfüllung der Vorgaben entsprechende Zertifikate aus. Diese Stellen müssen von den EU-Mitgliedstaaten benannt und von der Europäischen Kommission anerkannt werden. Sie müssen unabhängig, kompetent und unparteiisch sein, um ihre Aufgaben effektiv erfüllen zu können. Interessanterweise sieht der AI Act auch die Möglichkeit vor, dass Drittländer wie die Schweiz eigene Konformitätsbewertungsstellen einrichten können, die unter bestimmten Voraussetzungen von der EU anerkannt werden können. Dies könnte für Länder ausserhalb der EU, die enge wirtschaftliche Beziehungen zur Union pflegen, von grosser Bedeutung sein, da es ihren Unternehmen den Zugang zum EU-Markt für KI-Systeme erleichtern würde.
Die Schweiz könnte somit eine eigene Konformitätsbewertungsstelle einrichten, die von der EU anerkannt werden könnte, um Schweizer Unternehmer den Zugang zum EU-Markt zu erleichtern.
Handlungsbedarf für Schweizer Unternehmen
Schweizer Unternehmen sollten ihre KI-Anwendungen auf Konformität mit dem AI Act prüfen und eine Risikobewertung ihrer Systeme durchführen (entsprechend den Kategorien des AI Acts). Gegebenenfalls müssen Entwicklungs- und Implementierungsprozesse angepasst werden, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Besonders für KI-Systeme mit der Einstufung Hochrisiko sind umfangreiche Dokumentations- und Transparenzpflichten zu beachten. Zudem ist es wichtig, Mitarbeitende, die mit KI-Systemen arbeiten, entsprechend zu schulen.
Datenschutzrechtliche Aspekte
Der AI Act ergänzt bestehende Datenschutzgesetze wie die DSGVO. Besonders relevant sind die Regeln für die Verwendung biometrischer Daten durch KI-Systeme und die Vorgaben für Emotionserkennungssysteme. Anbieter solcher Systeme müssen Personen informieren, wenn sie mit diesen in Kontakt kommen. Zudem sollten KI-Systeme so konzipiert sein, dass sie nur die für ihren Zweck notwendigen Daten bearbeiten. Anbieter von KI-Systemen im hoch Risiko Bereich müssen robuste Sicherheitsmassnahmen implementieren, um die bearbeiteten Daten zu schützen.
Fazit und Ausblick
Der AI Act stellt eine bedeutende Herausforderung für Schweizer Unternehmen dar, die KI-Technologien entwickeln oder einsetzen. Obwohl die Schweiz nicht direkt an EU-Recht gebunden ist, werden viele Unternehmen die Vorgaben des AI Act erfüllen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Zugang zum EU-Markt zu haben. Es ist ratsam, dass Schweizer Unternehmen die Entwicklungen genau verfolgen und frühzeitig Massnahmen ergreifen, um ihre KI-Systeme und -Prozesse an die neuen Anforderungen anzupassen. Die Zeit bis zur vollständigen Anwendbarkeit des AI Act sollte genutzt werden, um notwendige Anpassungen vorzunehmen und sich auf die neue Regulierungslandschaft vorzubereiten. Nur so können Schweizer Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der künstlichen Intelligenz sicherstellen und gleichzeitig den ethischen und rechtlichen Anforderungen gerecht werden.