Amtshilfe und Datenschutz: Eine Auslegeordnung (BGE 147 II 227)
22.10.2021
In zwei zusammenhängenden Beschwerdeverfahren hat sich das Bundesgericht mit der Amtshilfe zwischen Behörden beschäftigt. Es ging um ein Auskunftsgesuch des Kantons Aargau bei der Wettbewerbskommission WEKO in einem Verfahren wegen unzulässiger Preisabreden unter Bauunternehmen. An diesem Beispiel beleuchtet das Bundesgericht, welche Voraussetzungen für die Bekanntgabe von Daten im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 lit. a DSG gelten.
Ein Auszug aus dem Entscheid vom 18. März 2021 wurde kürzlich in BGE 147 II 227 publiziert.
Unter welchen Voraussetzungen dürfen Behörden einander Daten bekanntgeben?
Das Datenschutzgesetz regelt unter anderem die Bekanntgabe von Personendaten durch Private und durch Bundesorgane. Für Bundesorgane gelten allerdings strengere Anforderungen. Sie benötigen nämlich für die Bearbeitung von Personendaten in der Regel eine Rechtsgrundlage.
Art. 19 DSG beschreibt, unter welchen Voraussetzungen Bundesorgane Dritten personenbezogene Daten bekannt geben dürfen. Diese gelten sowohl für die Weitergabe an Private als auch an andere Behörden.
Art. 19 DSG bezweckt gemäss der Botschaft zum DSG die Zugriffsmöglichkeit des Staates auf Personendaten zu beschränken:
"Wenn auch unbestritten ist, dass die einzelnen Verwaltungsstellen in Sachfragen, die sie gemeinsam betreffen, zusammenarbeiten sollen, so muss anderseits doch sichergestellt sein, dass nicht jede Amtsstelle in alle Personendaten Einblick nehmen kann, die im Staat insgesamt bearbeitet werden. Eine gewisse Abschottung zwischen den Verwaltungseinheiten, eine Art «informationeller Gewaltenteilung» ist notwendig." (S. 469)
Im vorliegenden Fall geht es um eine Bekanntgabe gestützt auf Art. 19 Abs. 1 lit. a DSG:
Bekanntgabe von Personendaten
Bundesorgane dürfen Personendaten nur bekannt geben, wenn dafür eine Rechtsgrundlage im Sinne von Artikel 17 besteht oder wenn:
a. die Daten für den Empfänger (1) im Einzelfall zur (2) Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe (3) unentbehrlichsind;
Im Einzelfall bedeutet dies, dass kein unbeschränkter, ununterbrochener Zugriff auf personenbezogene Daten erfolgen darf. Die Daten dürfen nur für einen einmaligen Zweck bekanntgegeben werden (Botschaft, S. 470).
Die gesetzlichen Aufgaben der Behörden leiten sich aus der Bundesverfassung sowie den kantonalen und ggf. kommunalen Verfassungen ab. Im konkreten Fall ging es darum, dass der Kanton Aargau seine Aufgaben wirtschaftlich, d.h. sparsam und effizient, erfüllen können soll (Art. 43a Abs. 5 BV). Daraus leitet sich auch das Recht bzw. die Pflicht ab, Schadenersatzforderungen gegen Dritte durchzusetzen und so wiederum Gelder für die Aufgabenerfüllung zu sichern (vgl. Erwägung 5.3.3). Um einen solch potentiellen Anspruch des Kantons Aargau gegen eine ggf. wettbewerbsverletzende Bauunternehmung ging es hier.
Unentbehrlich für die Erfüllung einer Aufgabe sind Personendaten, wenn sich die Aufgabe nur mit diesen Daten erfüllen lässt. D.h. ohne die Zuhilfenahme der beantragten Daten kann die Behörde ihre gesetzlichen Pflichten in diesem konkreten Fall nicht wahrnehmen bzw. die Rechte des Staates nicht durchsetzen (Erwägung 5.4.2). Die beantragten Daten müssen die Aufgabenerfüllung lediglich ermöglichen, nicht aber sie als sicher erscheinen lassen (Erwägung 5.4.3 f.).
Wie argumentiert das Bundesgericht?
Die folgenden Auszüge zeigen die wichtigsten Erwägungen des Bundesgerichts auf.
Zu den Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 1 lit. a DSG:
Erwägung: 5.4.7: "Unentbehrlich sind Daten zudem nicht erst dann, wenn rechtskräftig über die Wettbewerbswidrigkeit der Vergabeverfahren entschieden worden ist, von denen die Daten beantragt werden. Denn das Datenschutzgesetz, somit auch Art. 19 Abs. 1 lit. a DSG, ist nach Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG parallel zu einem erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren anwendbar (vgl. WALDMANN/BICKEL, Datenschutzrecht, a.a.O., § 12 N. 37). In diesem wird über Daten nicht rechtskräftig entschieden."
Erwägung 5.4.8.2: "Bei ihrer Auslegung hat sich die Vorinstanz zudem unzulässigerweise sowohl an die Stelle des Kantons Aargau als auch an die Stelle des Zivilgerichts gesetzt. Es ist ausschließlich die Aufgabe des Kantons Aargau darüber zu befinden, ob überhaupt und gegebenenfalls wann, wie und mit welchen Mitteln ein Verfahren angestrengt wird."
Erwägung 5.4.8.3: "Die Vorinstanz setzt mit ihrer Rechtsprechung, wonach erst dann Einsicht in Daten gewährt werden kann, wenn das Sanktionsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, den Kanton Aargau zudem der Gefahr aus, dass seine potentiellen Forderungen verjähren."
Erwägung 6.2.1: "Die Daten sind bereits für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt zivilrechtlich gegen die Beschwerdegegnerin vorgegangen werden soll, absolut notwendig. Denn ohne Daten kann der Kanton Aargau die Rechts- und Sachlage dafür gar nicht beurteilen. Ob die Aufgabe tatsächlich oder rechtlich erfüllt werden kann, ist - wie dargelegt - unbeachtlich. Insofern sind die Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 lit. a DSG erfüllt."
Zur Zweckbindung:
Erwägung 6.2.1: "Mit der vorliegenden strittigen Datenbekanntgabe soll dem Kanton Aargau die Möglichkeit eingeräumt werden, die Folgen von Submissionsabsprachen, welche ihn betreffen, zu mildern oder ihnen mit anderen Maßnahmen zu begegnen. Der Zweck der Datenbekanntgabe dient somit ebenfalls einer "Sanktionierung" wettbewerbswidrigen Verhaltens. Insofern kann davon keine Rede sein, die Daten des Kartellverwaltungsverfahrens in Sachen Submissionsabsprachen im Kanton Aargau würden - entgegen dem Grundsatz von Art. 4 Abs. 3 DSG - zu einem Zweck verwendet, welcher mit dem Zweck der ursprünglichen Datenerhebung nicht vereinbar wäre"